Herbstlich gefärbte Blätter und Kastanien liegen auf der Straße. Große Traktoren sind auf dem Weg zu ihrem Einsatz – ein normaler Septembervormittag im Dörfchen Buchholz. Plötzlich ertönt lautes Fahrradklingeln in der sonntäglichen Idylle: 16 Liegeradfahrende biegen um die Kurve. Das Ziel der heutigen Tour ist das „Zentrum für Leichtfahrzeugbau“ von Jochen Franke. Der ehemalige Berufsschullehrer baut in seiner Werkstatt zur Zeit Lastenräder. Doch das Herz des 76-Jährigen schlägt seit langem für Liegeräder.

Als Liegerad wird ein Fahrrad mit einer nach hinten geneigten Sitz- beziehungsweise Liegeposition bezeichnet. Im Unterschied zum herkömmlichen Fahrrad verfügt es anstatt eines Sattels über einen Netz- oder Schalensitz. Die Pedale und das Tretlager sind vorne angebracht. In Buchholz ist eine bunte Mischung von Rädern zu sehen: Liegedreiräder, wahlweise mit zwei Vorderrädern oder zwei Hinterrädern. Die einspurigen Räder werden Kurz- beziehungsweise Langlieger genannt und unterscheiden sich durch die Länge des Radstandes und Wendekreises. Die beiden vollverkleideten Velomobile sehen aerodynamisch aus und erinnern an Raketen.
Susanne Müller ist wegen eines Handicaps auf das Liegerad umgestiegen. Sie fährt jetzt ihr zweites Modell. Ihr erstes Rad stammte aus der Werkstatt von Franke. Trotz einer Lähmung ist sie eine 14-tägige Tour mit zwölf Etappen gefahren, von Nordfrankreich bis nach Weener in Ostfriesland. Zurück nach Bremen ging es dann mit dem Zug. Sie schwärmt von der Bequemlichkeit des Rades und der entspannten Körperhaltung. Kein Sattel bedeute auch keinen schmerzenden Po mehr. Die Nackenmuskulatur sei völlig entspannt und verkrampft nicht. Auch die Handballen, welche sonst den Oberkörper abstützen müssten, würden entlastet.

Gunnar Niendorf fährt ein Velomobil, ein Liegefahrrad mit Vollverkleidung. Er hat es gebraucht gekauft, der Vorbesitzer hat den Bausatz selbst zusammengeschraubt. Kinder freuen sich immer, wenn sie die „Rakete“ sehen, sagt er. Sein Auto hat er abgeschafft, die 14 Kilometer zu seinem Arbeitsplatz legt er mit einem seiner Liegeräder zurück. Er fährt keine anderen Fahrräder mehr. Das Liegeradfahren sei die bequemere Art zu fahren, so Niendorf. In Bremen fährt er auf der Straße. Angst habe er dabei nicht. Die Autofahrer seien vorsichtiger beim Überholen, ist sein Eindruck. Das läge wohl daran, dass die Liegeräder noch ein ungewohnter Anblick seien.

Veranstaltet werden die jährlichen Ausfahrten vom Bremer Liegeradtreff. Immer im September findet eine 2-Tagestour statt. Mit dabei sind Liegeradfreunde aus Bremen, dem Oldenburger Raum, Ostfriesland oder sogar Nordrheinwestfalen. Gestartet wird in Bremen, gemeinsam geht es zu einem touristischen Ziel im Bremer Umland. Worpswede, Bookholzberg oder auch Dörverden waren schon einmal Ausflugsziele. Solche gemeinsamen Touren würden eher selten angeboten, meistens seien Liegeradfahrende allein unterwegs. Das Gruppenerlebnis steht dann auch bei vielen im Vordergrund. Sich zu treffen, miteinander zu reden und zusammen zu fahren, dass mache den Reiz aus. Im Normalfall nehmen 20 bis 30 Personen an der Ausfahrt teil, wegen Corona sind es dieses Mal nur 16. Bei der Unterkunft wurde darauf geachtet, dass Einzelpersonen getrennt übernachten und nur Paare zusammen. Beim Werkstattbesuch tragen alle Masken und achten darauf, Abstand zu halten.
Seit 2009 gibt es die Septembertouren schon. Enno Müller und Hans-Hermann Schmidt organisieren sie seit einigen Jahren. Müller hat mittlerweile drei Liegeräder und fährt kein normales Fahrrad mehr. Darauf zu sitzen, sei ihm „zu hoch“.
Die Bremer Liegeradfreunde treffen sich einmal im Monat zum Stammtisch. Eine monatliche kleine Ausfahrt wird an einem Samstag oder Sonntag angeboten. Weitere Informationen und Termine sind auf der Website https://bremer-liegeradtreff.jimdofree.com/ zu finden. Der Liegeradtreff ist auch bei Facebook vertreten.

